Grossmächte-Seilziehen vor arktischer Haustüre der USA
Während sich viele nördliche Medien auf die Situation zwischen der Nato und Russland im in der Barentssee konzentrieren, tobt ein Seilziehen zwischen den USA, China und Russland in der Region des Beringmeeres. Grund dafür sind verschiedene russische und chinesische Aktionen, die das US-Verteidigungsministerium dazu gebracht haben, in einem Strategiepapier die beiden Länder explizit als Bedrohung zu nennen und mehr Investitionen für Militär und Überwachung in der Region zu fordern.
Tanker, die trotz Wirtschaftssanktionen vollbepackt mit Flüssiggas oder Öl von Russland nach China unterwegs sind; chinesische Marineeinheiten, die durch die EEZ-Gebiete der USA fahren; chinesische Eisbrecher vollgestopft mit technischen Geräten, die erstmalig ins arktische Eis fahren wollen und russische Marineheinheiten, die US-amerikanische Fischereischiffe beobachten und verfolgen. Langweilig war es in der Beringstrasse und den angrenzenden Meeren in den letzten Monaten sicherlich nicht, zumindest nicht für Strategieanalysten und Militärexpertinnen und -experten. Besonders diejenigen, die im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums die Lage beobachteten und am neuen Arktis-Strategie-Dokument des US-Verteidigungsministeriums mitgearbeitet haben.
Das am letzten Montag vorgestellte Dokument listete zwar nicht die Zwischenfälle und Aktionen der letzten Monate explizit auf, aber nannte die beiden daran beteiligten Länder Russland und China als Bedrohung für die Sicherheit des Landes, vor allem in der Arktis. «Obwohl die Volksrepublik China keine Arktisnation ist, versucht sie, die sich verändernde Dynamik in der Arktis zu nutzen, um ihren Einfluss und Zugang zu erhöhen, die arktischen Ressourcen zu nutzen und eine größere Rolle in der regionalen Verwaltung zu spielen», beschreibt das 28-seitige Dokument die Rolle Chinas. «Schiffe der chinesischen Marine (PLAN) haben in den letzten Jahren bei Übungen mit der russischen Marine ihre Fähigkeit und Bereitschaft unter Beweis gestellt, in der Arktis und in deren Umgebung zu operieren», heisst es weiter.
Und auch Russland wird mittlerweile als existentielle Bedrohung des US-amerikanischen Mutterlandes genannt: «Russland versucht, in der Arktis destabilisierende Aktivitäten auf unteren Ebenen gegen die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten durchzuführen (…). Russland hat auch einen klaren Einfallweg in die USA durch die Arktis und könnte seine arktischen Fähigkeiten nutzen, um die Fähigkeit der Vereinigten Staaten zur Ausübung von Macht zu bedrohen.» Deutliche Worte aus Washington an die Adressen Beijings und Moskau und an deren Zusammenarbeit in der Arktis, die als destabilisierend und bedrohlich für die USA betrachtet werden.
Ebenso deutlich sind die geforderten Massnahmen, um die Region zu schützen. Neben den schon bekannten Massnahmen wie neue, bessere Eisbrecher für die Küstenwache, bessere Kommunikationsmöglichkeiten und mehr Raumüberwachung und Informationsbeschaffung in allen Bereichen will das Ministerium auch klare Schutzmassnahmen gegen neue Bedrohungen wie Hyperschallwaffen oder tieffliegende Lenkraketen mit grosser Reichweite. Dazu sollen neue boden- und weltraumgestützte Früherkennungssysteme und verstärkte Zusammenarbeiten mit Kanada im Bereich NORAD entwickelt werden.
Neben technischen und infrastrukturellen Verbesserungen und Neuerungen, setzt das Verteidigungsministerium auch auf mehr Zusammenarbeit. Dabei stehen nicht nur die Nato-Partner im Fokus, sondern auch die lokale Bevölkerung, besonders die Ureinwohner, wissenschaftliche und politische Institutionen und sogar Lehr- und Informationszentren zur Ausbildung von Personal und Weitervermittlung von Wissen. Daneben sollen mehr Übungen und Trainingsmöglichkeiten mit Partnern die konzertierten Aktionen zwischen den verschiedenen Akteuren verbessern und professionellere, an arktische Bedingungen gewohnte Einheiten schaffen sollen.


Das Strategiepapier des Ministeriums blieb nicht ungehört in Moskau und Beijing und eine Reaktion folgte schon am nächsten Tag. Man sei an einer Atmosphäre der Stabilität und Planbarkeit interessiert und habe mit der Kooperation nur die Förderung der eigenen Interessen zum Ziel, hiess aus dem Kreml. Der Bericht habe einen «konfrontativen Beigeschmack», was man auch dahin deuten kann, dass Moskau den USA «Kriegstreiberei» in der Region vorwirft. Auch Beijing erklärte, dass die USA die chinesische Arktispolitik verzerre und unüberlegte Bemerkungen gemacht habe.
Doch trotz dieser Worte scheinen andere Ankündigungen und Aktionen die Situation eher weiter anzuheizen als zu beschwichtigen. Am letzten Mittwoch verkündete Präsident Putin seine Forderung, den Ausbau der Seestreitkräfte, besonders im Norden zu beschleunigen. Am Tag darauf fingen US-Kampfjets russische und chinesische Bomber nahe Alaska in der sogenannten Alaska Luftverteidigungs-Identifikationszone ab. Diese Zone gehört zwar nicht direkt zum US-Luftraum, ist jedoch Teil der weiteren Luftüberwachungszone, um Flugkörper möglichst früh zu erkennen und gegebenenfalls abzufangen.
Damit zeigt sich, dass das Seilziehen um die Arktis und die strategisch wichtige Beringstrasse, die einst Eurasien und Nordamerika wie eine Brücke verbunden hatte, unvermindert weitergeht. Ob sie einst auch wieder verbinden könnte, bleibt im Moment ungewiss. Vielleicht ergeben sich Möglichkeiten des Dialogs und der Brückenbildung auf anderen Ebenen.
Dr. Michael Wenger, Polar Journal AG