Kaiserpinguin-Populationen schrumpfen doppelt so schnell wie erwartet
Wird es bis zum Ende des Jahrhunderts noch welche geben? Satellitendaten zeigen, dass die Populationen der Kaiserpinguine in einem Viertel der Antarktis in den letzten 15 Jahren um 22 % zurückgegangen sind, was auf das instabile Klima zurückzuführen ist.
Ein weiterer Baustein in dem mühsam errichteten Gebäude, das Pinguin-Forscher um eine längst geahnte Wahrheit errichten – und das mit jeder neuen Veröffentlichung weiter wächst: Wenn nichts unternommen wird, werden Kaiserpinguine bis zum Ende des Jahrhunderts verschwinden. „Nichts“ bedeutet in diesem Fall, dass die Treibhausgasemissionen ungebremst weiter steigen. Um diese Einschätzung mit greifbaren, wissenschaftlich überprüften Fakten zu untermauern, hat Dr. Peter Fretwell, Biologe und Experte für Pinguine beim British Antarctic Survey, gemeinsam mit seinem Team die Kaiserpinguin-Populationen mithilfe von Satellitenbildern in jenem Viertel der Antarktis untersucht, das zwischen dem Nullmeridian und dem 90. Längengrad liegt.
Die am 10. Juni in Communications Earth & Environment veröffentlichten Ergebnisse zeigen: Modelle, die den Bestand der Kaiserpinguine unter verschiedenen Emissionsszenarien berechnen, unterschätzen deren Rückgang. Während die jüngsten Berechnungen von Dr. Michelle LaRue in den vergangenen 15 Jahren einen Rückgang von 9,5 % für die gesamte Antarktis prognostizierten, zeigen die Daten von Dr. Peter Fretwell, dass der Rückgang im untersuchten Viertel des Kontinents tatsächlich bei 22 % liegt.
Von Dronning-Maud-Land über das Weddellmeer bis hin zum Bellingshausenmeer durchquert dieser Küstenabschnitt eine Vielzahl klimatischer Störungen, wie sie rund um die Antarktis auftreten. Während das Weddellmeer bislang vergleichsweise wenig von der Ozeanerwärmung betroffen ist, erlebt die Westantarktische Halbinsel die drastischsten Temperaturanstiege des gesamten Kontinents. Durch die Konzentration auf diesen Teil der Antarktis konnten die Forschenden Zeit gewinnen.
„Die Bildgebung, die wir verwenden, ist zwar teuer, aber das Hauptproblem ist die Zeit – die Auswertung ist sehr aufwendig. Die Arbeit von Dr. Michelle LaRue, an der wir ebenfalls beteiligt waren, umfasste den gesamten Kontinent und hat Jahre gedauert. Die zuletzt verwendeten Daten stammten aus dem Jahr 2018, wurden aber erst 2024 veröffentlicht. Wir wollten aktuellere Ergebnisse liefern und haben uns daher entschieden, einen kleineren Teilbereich zu untersuchen“, erklärte Dr. Peter Fretwell gegenüber polarjournal.net.
Destabilisierte Eisschollen
Dass die Forschenden es so eilig hatten, neue Beobachtungen aus den Jahren 2019 bis 2024 einzubeziehen, liegt daran, dass Kaiserpinguine in dieser Zeit neue, teils dramatische Folgen des Klimawandels zu spüren bekamen. Die Rekorde für die geringe Ausdehnung des sommerlichen oder winterlichen Packeises sind in den letzten fünf Jahren Jahr für Jahr gebrochen worden – wir haben dies seit 2019 in unseren Artikeln festgehalten. Aber warum sind die Berechnungen so falsch, wenn die Auswirkungen des Klimawandels auf das Meereis bekannt und gut dokumentiert sind?
„Um die Realität der Kaiserpinguine mathematisch korrekt abzubilden, muss man deutlich mehr Daten berücksichtigen. Es geht nicht nur um den Verlust des Packeises, also des flachen Lebensraums, auf dem sie brüten. Auch das Aufbrechen des Eises spielt eine Rolle – es bringt sie in Konkurrenz mit anderen Pinguinen und anderen Fischjägern oder macht sie für Fressfeinde angreifbar“, erklärte Dr. Phil Trathan, Mitautor der Studie und Emeritus Research Fellow beim British Antarctic Survey.
Kaiserpinguine sind nicht besonders wendig und recht schwer – sie sind vollständig auf das Packeis und die darunterliegenden marinen Lebensräume angewiesen. Ihre Nahrung besteht aus einer Vielzahl von Beutetieren, darunter Fische, Krill und Tintenfische. Auch wenn einige Walarten nach fast vollständiger Ausrottung durch den Walfang inzwischen zurückkehren, ist das für den Kaiser nicht unbedingt nachteilig – anders als für Pinguinarten, die hauptsächlich Krill jagen.
„Nur der Zwergwal wagt sich wirklich in diese Gebiete vor – und er war zu Zeiten des Walfangs die am wenigsten bejagte Walart“, betont Dr. Peter Fretwell. Es ist also nicht die Last der maritimen Geschichte, die das Gleichgewicht stört, sondern das schwindende Packeis – oder dessen völliges Fehlen. Die Studie zeigt: Gibt es zu wenig Eis, müssen die Pinguine tiefer tauchen, um Beute zu finden; gibt es zu viel, müssen sie weite Strecken zu Fuß zurücklegen, um überhaupt tauchen zu können. Nicht die Erwärmung allein, sondern die zunehmende klimatische Instabilität steht laut den Autor*innen im Zentrum des Rückgangs.
„Es ist wichtig zu betonen, dass unsere Daten auf tatsächlichen Messungen beruhen und nicht aus einem Modell stammen. Besorgniserregend ist, dass sie etwa 50 % unter dem liegen, was die bisherigen Prognosen für das Jahr 2023 erwartet hatten. Wir spekulieren nicht über die Zukunft oder modellieren mögliche Entwicklungen – aber wenn man sich die bestehenden Projektionen anschaut, also ein Beinahe-Aussterben bis 2100, und die realen Zahlen jetzt schon schlechter ausfallen … dann überlasse ich es Ihnen, Ihre eigenen Schlüsse zu ziehen“, sagte Dr. Peter Fretwell. „Ich denke, man kann mit Fug und Recht sagen, dass dringend gehandelt werden muss – und dass uns weniger Zeit bleibt, diese Art zu retten, als wir bisher dachten.“
Fragilität jetzt offiziell?
Oft enden wissenschaftliche Analysen an diesem Punkt – doch in diesem Fall gehen die Forschenden einen Schritt weiter. Es gibt zwei Ebenen des Artenschutzes, auf denen ihre Daten politisches Gewicht haben könnten: Zum einen die Rote Liste der bedrohten Arten der Weltnaturschutzunion (IUCN), zum anderen die Listen besonders geschützter Arten im Rahmen des Antarktisvertrags. Die Einstufung des Kaiserpinguins als „gefährdet“ auf der IUCN-Liste könnte laut Dr. Phil Trathan etwa ein Jahr dauern. Doch bei den Tagungen des Antarktisvertrags im vergangenen Jahr wurde ein solcher Schutzstatus abgelehnt.
„Unsere Studie reiht sich in die wachsende Zahl an Belegen dafür ein, dass Kaiserpinguine in Gefahr sind“, sagt Dr. Peter Fretwell. „Ob das etwas an der politischen Lage in der Antarktis verändert, hängt allerdings vor allem davon ab, ob die derzeitige Blockade auf einem Mangel an wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht – oder auf anderen, nicht-wissenschaftlichen Gründen.“ Das nächste internationale Treffen zum Antarktisvertrag findet Ende des Monats in Mailand statt. „Dort könnten die Delegationen entscheiden, den Antrag noch dieses Jahr einzureichen – oder auf weitere wissenschaftliche Daten zu warten. Wichtig ist in jedem Fall, dass auch die IUCN derzeit die wissenschaftliche Beweislage prüft. Sobald dieser Prozess abgeschlossen ist, könnte das ein entscheidender Faktor sein, um den Antarktisvertrag zu einer Neubewertung seiner bisherigen Haltung zu bewegen“, erklärt Dr. Phil Trathan.
Die Verwundbarkeit der Art anzuerkennen ist das eine – doch die Hoffnung liegt auch in der DNA. Forschende setzen darauf, dass Kaiserpinguine eine Form der Anpassung aktivieren könnten, die bislang noch still in ihrem Genom schlummert – ein Überbleibsel aus einer Zeit, die nur Wesen mit Millionen Jahren Evolutionsgeschichte kennen: der letzten Zwischeneiszeit. Wie ein Ast an einer Klippe… es ist nicht sehr bequem, aber man kann sich daran festhalten.