Schnee auf Spitzbergen enthält Chemikalien aus Körperpflegeprodukten
Erstmals wiesen Forschende im Schnee nahe Ny Ålesund auf Spitzbergen Chemikalien aus Körperpflegeprodukten nach, darunter verschiedene chemische UV-Filter aus Sonnencreme.
Seit der industriellen Revolution gelangen Chemikalien in die Umwelt, die Ökosystemen und oft auch Menschen Schaden zufügen. Heute sind global mehr als 350.000 Chemikalien und Chemikaliengemische registriert, die wir Menschen künstlich herstellen, und laufend werden neue entwickelt. Viele von ihnen haben sich weltweit in der Umwelt angereichert mit zum Teil schwerwiegenden Folgen für Organismen. Einige wurden bereits verboten, beispielsweise Polychlorinierte Biphenyle (PCBs), und Studien zufolge sinken deren Konzentrationen in der Umwelt wieder. Gute Nachrichten, die allerdings nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, dass neuere chemische Verbindungen in Massen in die Atmosphäre und in Seen, Flüsse, Ozeane gelangen mit Folgen für die Ökosysteme, die noch kaum erforscht sind.
Da auf der Erde alles miteinander verbunden ist, finden diese Chemikalien auch ihren Weg in die Arktis. Insbesondere die lange Liste von «Chemicals of Emerging Arctic Concern» (CEACs, Neu auftretende Chemikalien in der Arktis), darunter Flammschutzmittel, Weichmacher, Pestizide u.v.a., bereitet Experten Sorgen und wurde bereits im Jahr 2016 vom Arctic Monitoring and Assessment Programme (AMAP) des Arctic Council unter die Lupe genommen. In der Arktis wurden CEACs in Oberflächengewässern, im Meerwasser, in terrestrischen und marinen Organismen, im Schnee und im Abwasser nachgewiesen.
Ein italienisch-norwegisches Forschungsteam hat sich im Frühjahr 2021 im Schnee von Spitzbergen auf die Suche gemacht nach ganz bestimmten Verbindungen: Chemikalien aus Körperpflegeprodukten — die erste Untersuchung dazu in der Arktis. Um einen Überblick über deren Vorkommen in der Arktis zu gewinnen, sammelten die Forschenden Schneeproben auf drei Gletschern auf der Brøggerhalvøya-Halbinsel, an der Gruvebadet Snow Research Site in der Nähe von Ny Ålesund sowie auf den Gletschern Kongsvegen und Holtedahlfonna, die rund 40 Kilometer von der Forschungssiedlung entfernt liegen.
In der kommenden Ausgabe von Science of the Total Environment berichten sie, dass verschiedene häufig verwendete Verbindungen wie Duftstoffe und chemische UV-Filter im Schnee der Arktis präsent sind. «Viele der von uns analysierten Schadstoffe wie Benzophenon-3, Octocrylen, Ethylhexylmethoxycinnamat und Ethylhexylsalicylat wurden noch nie in arktischem Schnee nachgewiesen», sagt Marianna D’Amico, Doktorandin im Bereich Polarwissenschaften an der Universität Ca’ Foscari in Venedig und Erstautorin der Studie, in einer Pressemitteilung der Universität. Die vier genannten Verbindungen werden als UV-Filter in Sonnencremes verwendet.
Auf allen untersuchten Gletschern, mit einer Ausnahme, wiesen die Forschenden in dem im Winter gefallenen Schnee höhere Konzentrationen von UV-Filtern nach als im darunter liegenden Schnee aus den vorangegangenen Jahreszeiten. Zwei der UV-Filter, Benzophenon-3 (BP-3) und Octocrylen, kamen in den Gipfelbereichen häufiger vor als in tieferen Lagen.
«Die Ergebnisse zeigen, dass das Vorhandensein neuer Schadstoffe in abgelegenen Gebieten auf den Transport über weite Entfernungen in der Atmosphäre zurückzuführen ist», erklärt Marco Vecchiato, Forscher für analytische Chemie an der Universität Ca‘ Foscari und Co-Autor der Studie, in der Pressemitteilung. «Die höchsten Konzentrationen wurden in der Tat bei Niederschlägen im Winter festgestellt. Am Ende des Winters erreichen die kontaminierten Luftmassen aus Eurasien leichter die Arktis.»
«Das auffälligste Beispiel betrifft bestimmte UV-Filter, die normalerweise als Inhaltsstoffe in Sonnencremes verwendet werden. Die höchsten Winterkonzentrationen dieser Schadstoffe lassen sich nur auf die in niedrigeren Breiten bewohnten Kontinentalregionen zurückführen: In Svalbard geht während der arktischen Nacht die Sonne nicht auf und Sonnenschutzmittel werden nicht verwendet», fügt Vecchiato hinzu.
Der Schnee fungiert allerdings nur als ein vorübergehendes Reservoir für diese Chemikalien. Sobald er geschmolzen ist, können sie zur Gefahr für Ökosysteme und Organismen werden. Welche Auswirkungen sie auf Tiere und Pflanzen in der Arktis haben, muss erst noch erforscht werden. Aus anderen Regionen ist jedoch bekannt, dass sich UV-Filter in Meeresorganismen anreichern, sie bei Kontakt mit Sonnenlicht auf der Haut toxische Wirkungen auslösen und das Hormonsystem schädigen. Zudem haben sie eine schädigende Auswirkung auf Korallenriffe, weshalb Hawaii, die Amerikanischen Jungferninseln und Palau drei der Verbindungen verboten haben.
Chemikalien aus Körperpflegeprodukten gelangen zum Beispiel über Haushalts- und Industrieabwässer in die Umwelt oder werden durch die Anwendung von Parfum oder Sonnencreme-Sprays direkt in die Luft entlassen. In abgelegene Regionen wie die Arktis gelangen sie über Meeresströmungen und die Atmosphäre. Lokale oder regionale Quellen können auch ein Rolle spielen.
Julia Hager, PolarJournal


